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Arbeitsrecht Erschütterung des Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss der Arbeitgeber durch von ihm darzulegende und ggf. zu beweisende Umstände in ihrem Beweiswert erschüttern. Ansonsten widerlegt sie das behauptete Fehlen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.

Erklärt sich der Arbeitnehmer allerdings nicht zu den konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit, so gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei nicht infolge Krankheit arbeitsunfähig gewesen, und damit die Rechtsgrundlosigkeit der Entgeltfortzahlung als zugestanden.

Der Kläger war seit November 2021 bei der Beklagten als Produktionsleiter beschäftigt. Am 26.10.2022 kündigte der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger mündlich das Arbeitsverhältnis. Am 27.10.2022 meldete sich der Kläger arbeitsunfähig krank. Seit diesem Tag arbeitete er nicht mehr für die Beklagte. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2022, dem Kläger am selben Tag zugegangen, erklärte die Beklagte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.11.2022.

Der Kläger übersandte der Beklagten ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als Erstbescheinigung über die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit am 27.10.2022 seit diesem Tag bis zum 10.11.2022 und als Folgebescheinigung vom 9.11.über eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 30.11.2022. Am 12.11.2022 war der Kläger im Rahmen eines Handballspiels als Spieler aktiv. Am 19.11.2022 er bei einem Handballspiel Schiedsrichter.

Die Beklagte hatte dem Kläger für die Zeit seines Krankenstandes über 4.000 € brutto gezahlt. Mit Widerklage hat sie die Rückzahlung der für Oktober und November 2022 geleisteten Entgeltfortzahlung gerichtlich geltend gemacht. Sie hat behauptet, der Kläger habe sie, da er sportlich aktiv war, über das Bestehen seiner Arbeitsunfähigkeit getäuscht.

Das Arbeitsgericht hat die Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LAG das Urteil abgeändert und der Klage weitestgehend stattgegeben.

Wie es das Arbeitsgericht aufgezeigt hat, ist Anspruchsgrundlage für die Rückforderung der Entgeltfortzahlung der § 812 Absatz 1 Satz 1 1. Alt. BGB. Danach ist derjenige, der durch die Leistung eines anderen auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, diesem zur Herausgabe verpflichtet. Dies umfasst die Rückforderung vom Arbeitgeber erbrachter Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bei tatsächlich nicht bestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.

Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss der Arbeitgeber durch von ihm darzulegende und ggf. zu beweisende Umstände in ihrem Beweiswert erschüttern. Ansonsten widerlegt sie das behauptete Fehlen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Außerdem muss der Arbeitgeber konkreten Vortrag des Arbeitnehmers zu den Umständen der Erkrankung und einer daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit ggf. durch erfolgreiche Beweisführung widerlegen. Erklärt sich der Arbeitnehmer allerdings nicht zu den konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit, so gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei nicht infolge Krankheit arbeitsunfähig gewesen, und damit die Rechtsgrundlosigkeit der Entgeltfortzahlung als zugestanden.

Was das Ausüben von Freizeitsport während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit angeht, so ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Im Allgemeinen werden begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu verneinen sein. In derartigen Fällen sollte aber angesichts der ungünstigen Beweissituation, in der der Arbeitgeber sich ohnehin befindet, nicht zu restriktiv entschieden werden. In Anwendung dieser Grundsätze und Überlegungen ist vorliegend – abweichend von der Beurteilung durch das Arbeitsgericht – jedenfalls in der Gesamtschau der Indizien auf eine Erschütterung des Beweiswerts der ärztlichen Bescheinigungen vom 27.10. und vom 9.11.2022 zu schließen. Die Bescheinigungen decken die nach der seitens der Beklagten ausgesprochenen Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses passgenau ab.

Die Möglichkeit der Begutachtung durch den medizinischen Dienst bedeutet nicht, dass bei Ausbleiben einer Begutachtung eine Erschütterung des Beweiswerts einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgeschlossen sein würde. Nach § 275 Absatz 1a Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch kann der Arbeitgeber verlangen, dass die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Das Ausbleiben eines solchen Verlangens schließt aber eine gerichtliche Auseinandersetzung über die Frage nicht aus. (LAG Berlin-Brandenburg v. 5.7.2024 - 12 Sa 1266/23)

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