Frau Krause: Wie hilfreich ist der Satz „Du brauchst keine Angst zu haben“?
Er gibt dem Kind unter Umständen das Gefühl, dass seine Wahrnehmung nicht passgenau ist. Es ist jedoch ganz wichtig, dass ein Kind lernt, seine Gefühle wahrzunehmen und ihnen zu vertrauen. Deshalb sollten Eltern die Angst ihres Kindes ernst nehmen. Außerdem ist Angst ein wertvolles Gefühl, weil es evolutionsbiologisch unser Überleben sichert und dem Kind signalisiert, dass etwas an der Situation für das Kind nicht stimmt. Deshalb könnten Eltern besser fragen, was dem Kind Angst macht, seinem Gefühl damit Raum geben und ins Gespräch kommen. Es ist eine ganz wichtige Entwicklungsaufgabe, seinem Kind zu zeigen, dass alle Gefühle richtig sind.
Besteht nicht die Gefahr, das Kind zu überfordern?
Im Gegenteil. Wenn das Kind lernt, seinen Ängsten zu begegnen und sie zu überwinden, erfährt es damit ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit. Und Eltern geben dem Kind ja einen sicheren Rahmen. Ein klassisches Beispiel: Ein Kind hat Angst vor der Dunkelheit. Eltern könnten da spielerisch herangehen, Verstecken im Dunkeln spielen beispielsweise, mit Taschenlampen oder Knicklichtern das Ganze zum Abenteuer machen. Eltern sind hier das Rollenvorbild für ihre Kinder und können die Kompetenz vermitteln, dass man sich seinen Ängsten stellen und sie besiegen kann.
Also besser der Angst bewusst begegnen?
Ganz genau. Angstmachende Situationen sollten nicht vermieden werden, denn dann könnten sich Ängste verfestigen und die kindliche Kompetenzentwicklung leidet. Aber wichtig ist hier: Immer im Tempo des Kindes bleiben. Sollten die Ängste langfristig bleiben oder gar wachsen, müssen Eltern keine Scheu haben, sich Hilfe bei Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeuten zu suchen. Denn je früher man daran arbeitet, desto besser kann eine dysfunktionale Angst wieder verschwinden.
Zurzeit herrscht Krieg und der ist recht nah. Soll ich das Thema erklären oder schürt dies nur Ängste?
Eltern sollten ihren Kindern Fragen zum Thema Krieg altersgerecht beantworten. Dabei sollten sie jedoch folgende Dinge beachten:
- Sprache und Menge der Informationen an das Alter und die Aufnahmefähigkeit des Kindes anpassen. Kinder zeigen uns, wenn es ihnen zu viel wird. Es hilft, das Gesagte mit Medien zu unterstützen. Hier gibt es gute kindgerechte Angebote wie dieser Beitrag für Grundschulkinder beispielsweise:
Wichtig: Eltern sollten die Beiträge gemeinsam mit den Kindern anschauen, Fragen beantworten, auf Gefühlsreaktionen achten und diese spiegeln. Und: die Dosis begrenzen. - Sorgen und Ängste bei dem Thema zu haben, ist angemessen und sollte normalisiert werden. Nicht sagen: „Du brauchst keine Angst zu haben!“. Sondern beispielsweise: „Diese Situation ist schrecklich und viele Menschen haben jetzt Angst oder machen sich Sorgen. Das ist gut, denn diese Gefühle helfen uns, an die Menschen zu denken, die Hilfe brauchen. Und dadurch kümmern wir uns auch um die Menschen in der Ukraine.“
- Eltern sollten immer auch Zuversicht vermitteln, zum Beispiel das benennen, was zurzeit an Hilfe möglich ist.
- Kindern hilft es, etwas tun zu können. Zum Beispiel ein Friedenslicht anzuzünden, ein Friedenssymbol zu basteln oder zu malen, ein Friedenslied zu singen.
- Die Zeit, in der man gemeinsam darüber spricht, sollte begrenzt sein. Und wichtig: Man sollte auch über andere Dinge sprechen. Dinge, die froh und Spaß machen und die gegebenenfalls trösten und Sicherheit vermitteln, geben jetzt Kraft und helfen, etwas gegen die Angst zu stellen.
Sollte ich auch mit meinem Kleinkind schon über Angst im Allgemeinen sprechen?
Das Gefühl ist ja da, deshalb ist es gut, ihm auch einen Namen zu geben. Mit dem Begriff „Angst“ erwirbt ein Kleinkind zunächst einmal ein Konzept, das es anwenden und im Laufe der Zeit ausdifferenzieren kann. Das passiert dann in der Regel ab dem Kindergartenalter. Dem Kind Worte für das Gefühl zu geben, ist sicherlich hilfreich, denn es lernt mehr und mehr, sich auszudrücken und seine Gefühle zu teilen.
Wird Angst anerzogen oder gibt es Kinder, die einfach von Natur aus ängstlich sind?
Das Temperament, mit dem ein Baby ausgestattet ist, spielt hier auf jeden Fall eine Rolle. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass sich schon Säuglinge messbar darin unterscheiden, wie sie sich fremden Situationen oder Personen nähern. Und dann trifft das Kind auf seine Eltern und seine Umwelt und macht neue prägende Erfahrungen. Denn wie die Eltern selbst mit dem Thema Angst umgehen, ist natürlich auch ausschlaggebend. Hier spielen die biografischen Erfahrungen der Eltern mit ein. Fakt ist: Für Kinder besteht ein erhöhtes Risiko, eine Angststörung zu entwickeln, wenn die Eltern Ängste beziehungsweise eine Angststörung haben. Hier kommt sowohl die genetische Veranlagung als auch das Rollenvorbild der Eltern zum Tragen.
Wenn ich selbst traumatische Erfahrungen gemacht habe: Wie schaffe ich es, sie nicht auf mein Kind zu übertragen?
Ängstliche Erwachsene hatten oft schon Ängste in der Kindheit. Wenn Eltern sich ihrer Ängste bewusst sind, ist das schon viel wert. Die Veränderung beginnt, wenn man bei sich selbst beginnt. Hier ist es wichtig, zu differenzieren: Ängste gehören zum Entwicklungsverlauf eines gesunden Kindes dazu. Wenn Eltern aber das Gefühl haben, dass ihr Kind Dinge nicht so tun kann wie andere, dann sollten sie sich Hilfe suchen. Denn kindliche Ängste sind Schrittmacher in einem dysfunktionalen Entwicklungsverlauf.
Hier sollte man möglichst früh handeln, um psychischen Erkrankungen im späteren Verlauf entgegenzuwirken. Kinderängste sind
übrigens weit verbreitet: Etwa jedes zehnte Kind leidet unter einer klinisch relevanten Angststörung. Je früher Eltern sich Hilfe suchen, desto schneller kann dieser dysfunktionale Pfad abgeschnitten werden. Denn in einem frühen Stadium sind kindliche Ängste noch gut behandelbar.
Quelle: mhplus Krankenkasse